Die Gesamtkonstruktion der Aufzugsanlage

von OBM H.J. Reuschel

Es war für uns selbstverständlich, daß die Aufzugsanlage weder optisch noch funktionell in die historische, harmonische Struktur der Orgel eingreifen bzw. sie beeinflussen durfte.

Die Aufzugsanlage sollte deshalb das Kalkieren von Hand ermöglichen und ohne Spuren zu hinterlassen, jederzeit demontierbar sein.

Außerdem sollte sie in ihrer Funktion dem Kalkieren von Hand möglichst nahe kommen. Dies sollte mittels einer elektronischen Steuerung ermöglicht werden.

Unsere ersten Fragen:

  • Was genau macht ein Kalkant?
  • Wie und wann werden Bälge aufgezogen?
  • Wie verhält sich der Druck eines Mehrfaltenbalgs?
  • Wie verhalten sich 6 Mehrfaltenbälge zu einander?
  • Wie machen sich Druckunterschiede bemerkbar?
  • Sind klangliche Unterschiede zu erwarten?
  • Wird eine Steuerung zwischen den Bälgen notwendig sein?

Es zeigte sich schnell, daß diese Fragen sich nicht allein durch Berechnungen sondern letztlich nur durch Versuche beantworten ließen. Wir begannen also zu probieren.

Versuchsphasen

Wir waren davon ausgegangen, daß es sich bei diesem Projekt um ein Experiment handeln würde und hatten vorsorglich eine lange Versuchsphase eingeplant.

Während dieser Versuchsphase, lange nach der Einweihung, blieb für die Windversorgung ein 21m³Gebläse, das einen Schwimmerbalg über ein Rollventil speiste, installiert. Über eine große Balgwartungsklappe im Kanal wurde der Wind in das Kanalsystem geleitet. Ein Balg war als Stoßfänger zusätzlich umfunktioniert worden. Diese Maßnahme ermöglichte uns ein sukzessives Vorgehen und außerdem den unmittelbaren Vergleich zweier grundverschiedener Windversorgungstechniken.

Wir setzten unsere Idee zunächst für einen einzelnen Balg um und schlossen dann Schritt für Schritt die weiteren Bälge an.

Probleme

Beim Bau eines Prototyps treten immer Überraschungen auf. Trotz tiefgreifender theoretischer Überlegungen mußten wir bei unseren Versuchen immer neue Situationen meistern und neue Strategien entwickeln. Zuerst wollten wir das Ablaufen der Getriebemotoren unabhängig von der Balgstellung ausführen. Doch es zeigte sich, daß durch kleinste Bandspannungen der Winddruck hörbar verschlechtert wurde. Ein zwischengebauter Hebel mit gesteuerter Rückspulung, behob das Problem.

Beobachtungen während der Versuchsphasen:

  • eine konstanter Rhythmus beim Ablaufen aller Bälge ist nicht exakt erkennbar
  • je mehr Bälge am Windsystem angeschlossen wurden, desto stabiler wurde die Windversorgung
  • die nicht windabgebenden Faltenbälge wirken als "Stoßbälge", wenn kurzzeitig erhöhter Windbedarf vorhanden ist (nur bei Mehrfaltenbälgen!)
  • mit der elektronischen Windwaage lassen sich die Winddruckunterschiede sehr gut feststellen. Diese Feinheiten ließen sich mit dem Wasser gefüllten U-Rohr nicht nachweisen
  • überraschenderweise machten sich die meßbaren Winddruckunterschiede hierbei klanglich überhaupt nicht negativ bemerkbar
  • die Orgel begann zu "singen"!

Wir alle waren über die angenehme Veränderung des Orgelklanges überrascht, weil wir mit solchen Klangänderungen nicht wirklich gerechnet hatten.

Messungen der Windrücke bei verschiedenen Aufgängen der Bälge
Welteburg Abteikirche St.Georg
Druckverhalten der einfaltigen Bälge
Rastatt Alexander
Druckverhalten der mehrfaltigen Bälge
Balgaufgang in cm Druck in mmWs Balgaufgang in cm Druck in mmWs
50 67 75 65,1
45 66 70 65,5
40 65 65 65,8
35 66 60 63,5
30 67 55 63,1
25 69 50 64,0
20 70 45 62,8
15 71 40 61,8
10 72 35 62,2
5 70 30 62,9
- - 25 61,5
- - 20 59,8
- - 15 60,3
- - 10 60,4